Seite 22 Reportage (24. März 2010)
Der ewige Schlussverkauf
Sparen, trödeln, unter Leute kommen: Sozialkaufhäuser sind ein ganz eigener Mikrokosmos in dieser Stadt
BERLIN. Sie bieten ein breites, unschlagbar preiswertes Sortiment von Waren für den täglichen Gebrauch.Nur umsonst ist billiger. Sie sind zwar nicht das KaDeWe, aber mancher Kunde bedient sich mal dort, mal hier. Und in ihnen zu stöbern, kann zur Passion werden. Sozialkaufhäuser haben das Schmuddelimage längst verloren.
Vor der Tür des „Rumpelbasars" hat sich bereits eine lange Schlange gebildet, im Hof steht ein Mittelklassewagen neben dem anderen. Es ist der Rand von Zehlendorf, da, wo die Bürgerlichkeit nicht gerade zu Hause ist, wo die Stadt bereits zerfasert. Aber es ist durchaus kein Trupp von Bittstellern, der sich hier eingefunden hat. Es gibt Wartende, die in britisch anmutende Steppjacken gehüllt sind, die schicke Schals um den Hals und gutes Schuhwerk an den Füßen tragen. Armut sieht anders aus. Aber wer erkennt heute noch, zumindest auf den ersten Blick, wie Armut aussieht?
Regelmäßig schaut etwa ein Professor vorbei, der immer nach etwas Passendem für seine große Wohnung sucht. Sein Sammelinteresse fokussiert sich besonders auf alte Spazierstöcke. Wie die meisten hier ist er Stammkunde.
Als an diesem Mittwoch um 17 Uhr sich die Türen öffnen, flitzen die Routiniers und Gewitzten gleich in den Keller, wo die Elektroartikel warten. Toaster, Plattenspieler, Lampen finden für wenige Euro rasch einen Käufer. „Alles, was Technik ist, ist weg", ärgert sich ein älterer Herr eine halbe Stunde nach Verkaufsbeginn. Auch im Erdgeschoss, wo Haushaltswaren, Bekleidung und Spielzeug ordentlich in Regalen liegen oder auf Stangen hängen, herrscht rege Nachfrage.
Die ehrenamtlich tätigen Verkäufer beraten gern und lassen mit sich handeln. Was zum Verkauf steht, wurde gespendet und, wenn gewünscht, bei den Gebern abgeholt. Man muss nicht jeden Cent mehrfach umdrehen, man kann, zum Beispiel in der Spielsachen-Ecke, als Opa, Patenonkel oder freundlicher Nachbar, der einem Kind für wenig Geld eine Freude machen möchte, die Börse zücken und ein Schnäppchen machen. Man kann Student sein oder
Profi, der das Zeug weiter verscherbelt. Man kann auch jemand sein, der für drei Euro ein Paar Krücken kauft, für die arme Bettlerin an der Ecke in der eigenen Nachbarschaft. Man kann sogar arm sein. Ein amtlicher Ausweis der Bedürftigkeit jedoch ist nicht erforderlich. Jeder kann kommen. Die Gewinne fließen in soziale Projekte, im Fall des „Rumpelbasars" in Kinder- und Jugendarbeit, Behindertenbetreuung, Essensausgaben, Sportangebote. 2009 wurden rund 130 000 Euro überwiesen.
Alles findet einen Käufer
Es gibt im „Rumpelbasar" Stoffwindeln und Handtücher, Strapse und Paillettenkleider, Tennisschläger und Aquarien, Fleischwölfe und Ölgemälde, einen Bierseidel aus Dinkelsbühl und ein Geschirr von Hutschenreuther, 44 Teile mit Goldrand, für 50 Euro. Ein Ehepaar hält ein Weinglas mit rosa Blumenaufdruck in die Höhe. „Eher etwas für süßen Wein", sagt er und stellt es wieder ins Regal zurück. Egal. Einer alten Händlerweisheit folgend, findet jedes dieser Dinge am Ende auch einen Käufer.
Es gibt wenig, was es nicht gibt. Und was es heute nicht gibt, findet sich vielleicht beim nächsten Besuch. Es ist, als würde aller Krimskrams, alle aussortierten, überzähligen, unnütz gewordenen, oft schon durch viele Hände gegangenen Artikel, die sich in dieser großen Stadt ansammeln, immer wieder und wieder durch gewaltige Siebe und Roste geschüttelt, um am Ende hier zu landen.
„Alles ist verhandelbar”, sagt Verkäufer Frank Wille, und er sagt es laut. Sein schnörkelloses
Berlinisch poltert durch den „Motz"-Laden an der Kreuzber ger Friedrichstraße. „Winterschlussverkaufl" ruft er, als eine „Dame aus Zehlendorf", wie sie sich selbst nennt, einen Wecker, ein Buch und einen Teller für drei Euro in eine Plastiktüte packt. Auch dieses Sozialkaufhaus erfreut sich einer bunten Kundschaft. Da es günstig liegt, schauen viele Touristen und junge Leute vorbei und passionierte Trödelfreunde, die am Wochenende auch den Flohmarkt an der Straße des 17. Juni frequentieren. Die Kernkundschaft aber bleibt eine Klientel, die jeden Cent umdrehen muss. Gelegentlich muss Wille seine Kunden dazu ermahnen, ihr weniges Geld nicht für Überflüssiges zu verschwenden. Dann ist er nicht nur Verkäufer, sondern auch Sozialarbeiter an vorderster Front.
An Orten wie diesem aber verschwimmen ohnehin die Grenzen. "Arm" trifft hier auf „gar nicht so arm", Kiezbewohner auf Durchreisende, der Arbeitslose auf den Freiberufler, der sich mit billigen Büroutensilien eindeckt, der gezielt Suchende auf den unentschlossen an den Auslagen entlang Streifenden, der Schweigsame auf den Gesprächigen, dem zu Hause die Decke auf den Kopf fällt und der hier ein wenig Abwechslung findet.
Wie die Frau, die nur „Frau Schulz" genannt werden möchte und im Sozialkaufhaus an der Reinickendorfer Hausotterstraße die Bestände nach Brauchbarem durchsucht. Die 60-Jährige durchlebe gerade, wie sie sagt, eine „schlimme Zeit".„Knapp bei Kasse" sei sie, mehr als zehn Euro könne sie nicht ausgeben. Doch wenn sie hier etwas kaufe, brauche sie „kein schlechtes Gewissen" zu haben. All das ist wichtig, aber vielleicht nicht das Wichtigste. „Hier komme ich", sagt sie, „unter Leute." Zu Hause hat sie Stress mit ihrem Mann. Da wird das Sozialkaufhaus geradewegs zur Fluchtstätte. „Frau Schulz" redet von daheim, sie redet von ihrer „Situation", auch die „schlimm", sie redet und redet. Sie sagt, „man freut sich, hier zu sein". Sie hat einen Wickelrock für drei Euro entdeckt. „Man träumt", sagt sie, „vom Strand."
„Wir hetzen niemanden", beteuert Tina Schumacher, die ehrenamtlich für den Verein „Rabauke" den Laden betreut. Sie und die anderen Helfer fragen auch nicht nach den Motiven der Kunden. Wenn sie fragen würden, wären die Antworten bunt gemischt, so bunt wie die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse, die Interessen und Vorlieben der Menschen dieser Stadt. Die Sozialkaufhäuser sind Basar und Rettungsanker, sind gemeinnützige Wirtschaftsunternehmen und zwischenmenschliche Wärmestuben. Sie sind Berlin.
Kai Ritzmann